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Civic Tech weltweit! Unser Bericht vom Code for All Summit in Bukarest

4 Tage, 20 Keynotes, mehr als 40 Workshops und Panels, über 200 Teilnehmer. Der Code for All Summit in Bukarest vom 8. - 11. Oktober 2018 brachte nicht nur die CivicTech Community aus aller Welt zusammen sondern auch geballtes Wissen aus mehr als fünf Jahren aktivem CivicTech Engagement. Aus Deutschland waren Anastasia, Karo, Lukas und Timo dabei.

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Am Anfang steht die Frage der Definition…

So unterschiedlich die einzelnen Organisationen in ihren jeweiligen Ländern, so ähnlich deren Herausforderungen. Die Diskussion zu einer Definition von CivicTech veranschaulichte den noch jungen Entwicklungsstand dieses Themas. Ist der Begriff CivicTECH überhaupt angebracht, wenn alle sich einig sind, dass 80 % bei CivicTech alles andere als TECH ist? Ebenso wurden Überschneidungen und Abgrenzungen zu den Begriffen GovTech und ProsocialTech in das Panel eingebunden. Die Debatte darüber, welches Land oder welche Kultur überhaupt eine Definition bestimmen darf, beendete die angeregte und inspirierende Session mit weiteren spannenden Fragen. Einigkeit bestand darüber, dass es eine Definition geben muss, um gemeinsame Werte, Standards und Stakeholder benennen zu können. Zugleich ist absehbar und gewünscht, dass die Definition sich entwickeln und im Laufe der Zeit verändern kann.

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…dicht gefolgt von der Frage der Finanzierung

Die Finanzierung der jeweiligen Community und die Suche nach Business Modellen ist in allen Ländern omnipräsent. Bei der Neuheit des Themas überrascht dies wenig und kann sicher als gesunder Entwicklungsschritt beobachtet werden. Als Frontrunner kann dazu mySociety aus Großbritannien beobachtet werden, die international Software und Tools vervielfachen um die CivicTech Community zu unterstützen. In einer intensiven und langen Session betrachteten Vertreter*innen mehrerer Förderinstitutionen Seite an Seite mit CivicTech-Akteuren die existierenden Modelle kritisch und entwickelten alternative Vorgehensweisen. Priorisierung bestimmter Themen, gezielte Förderung bestimmter Regionen, Fairness, Umsetzbarkeit, Skalierbarkeit, Impact und Nachhaltigkeit wurden teilweise kontrovers diskutiert. Als Ergebnis konnten mehrere dutzend Vorschläge dokumentiert werden, die vor allem Förderer als Hausaufgabe verstanden.

Best Practice der internationalen Community

Auffällig im Verlauf des Summits war der unterschiedliche Grad an Zusammenarbeit zwischen der jeweiligen CivicTech Community und deren Regierung. Die außerordentlich engagierte CivicTech Community in Rumänien will Einfluss nehmen auf die Politik des Landes, schließt zu aktuellem Zeitpunkt eine Finanzierung von deren Seite jedoch aus. Code for Canada hingegen arbeitet aktiv mit dieser zusammen, ob in einem Fellowship Programm oder in der neu eröffneten CivicHall in Toronto.

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Einblicke in die seit 2014/15 bestehende CivicHall in NewYork und die kürzlich eröffnete in Toronto gab es in einer weiteren Arbeitsgruppe. Die CivicHall New York finanziert sich durch Mitgliederbeiträge, Events, Sponsoren und Stiftungen. Der physische Raum sei eine wichtige Basis, mache aber nur 20 % aus. Der Rest ist das Programming, so Micah Sifry von der CivicHall NY. Die CivicHall in Toronto wurde gegründet durch Code for Canada, die Stadt Toronto und dem Center for Social Innovation (CSI). Auch hier wird der Raum durch ein Membership-Model finanziert, die Mitglieder in diesem Fall sind derzeit 13 öffentliche Verwaltungen der Stadt Toronto und Umgebung.

Colombina Schaeffer von Ciudadanía Inteligente teilte die Erfahrung, dass die Arbeit von Freiwilligen bei gewissen Projektlänge und -umfang an ihre Grenzen stößt und dass es sehr zweckdienlich ist, langfristige, sinnvolle und nachhaltige Entwicklungspläne für die Organisation und die einzelnen Projekte aufzustellen. Eine gut besuchte Session zum Thema Burnout führte zur Einrichtung eines neuen Slack-Channels zum Austausch und Support. Mathew McNaughton von Slashroots Foundation betonte die Verantwortung der CivicTech-Organisationen gegenüber dem Mitarbeitenden, die selbstverständlich ein Recht auf Planungssicherheit und gute Arbeitsbedingungen haben sollten.

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Durch viele Panels, Keynotes und Sessions hinweg zog sich die Erkenntnis, dass benutzerorientierte Entwicklung / UX Design bei CivicTech Projekten eine Schlüsselrolle spielt. Um die richtigen Probleme zu priorisieren, sollten die CivicTech-Akteure ihre Zielgruppe fragen, was sie nachts wach hält, so Justin Arenstein von Code for Africa. Ebenso wichtig ist UX für die Akzeptanz von Neuerungen, seien sie durch die Community oder durch offizielle Instanzen initiiert.

Praktisch ist so ein Summit, um sich über den Stand der Entwicklung auszutauschen. Eine große Vielfalt von Projekten, Engagement der Entwickler und hohe Professionalität bei der Umsetzung und Organisation waren beeindruckend, wenn nicht sogar überwältigend. Laut Marnie Webb von TechSoup brauchen viele der technisch möglichen oder bereits entwickelten Lösungen noch wesentlich mehr Daten, um einen richtigen Mehrwert zu erzeugen. Auch seien viele Kollaborations-Potenziale noch lange nicht erschöpft. Bibliotheken sind in ihren Augen potenziell wichtige Akteure, bei denen per Definition bereits engagierte Informationsmanagement-Profis im Einsatz sind. Außerdem erinnerte Webb daran, dass die Wirkung von CivicTech in ländlichen Gebieten größer sein kann als in Großstädten, in den sich die meisten Initiativen tummeln.

Der Blick in die Zukunft: Code for Europe

Im Workshop “Code for Europe” wurde ein Actionplan entwickelt: Die Idee, einen organisatorischen, gemeinsamen “CodeforEU” Layer als europäische Ergänzung und Vernetzungsort zu etablieren.

Wichtigste Actionpoints & Ziele:

  • Gründung einer “legal entity” um Fördergelder (z.B. von der EU) für Community Management beantragen zu können
  • Community vor Ort unter einem gemeinsamen Label zusammen zu bringen
  • Mitglieder die Interesse vor Ort zeigten: Code for Romania, Code for Czech (in Gründung), Code for Germany, Code for NL

Learning: “Code for All” ist ein großartiges Netzwerk, aber eben auch geografisch sehr weit gestreut. Ein innereuropäischer Austausch wäre in bestimmten Fragestellung deutlich zielführender.

Zur Historie: Nach dem in den Jahren 2014 und 2015 zwei Landingpages für “Code for Europe” im Rahmen von geförderten Projekten erstellt wurden, schlief die Initiative nach Ablauf der Projektzeiten leider wieder ein. Nicht jedoch die Idee.

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Fazit

So schön es auch war, den Fortschritt und das Wachstum in der weltweiten CivicTech-Szene zu sehen, so wichtig ist es, sich nicht auf den erzielten Erfolgen auszuruhen. Unter anderem warnte Vanessa Herringshaw von HIVOS vor übertriebener Begeisterung, die potentielle Gefahren wie politische Verfolgung oder Lebensgefahr ignoriert “Take risks, but do your homework!”. Sie zog bei einer der letzten Keynotes des Summits ein ernüchterndes Fazit und stellte fest, dass Transparenz zum Beispiel nicht notwendigerweise dazu führt, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und dass Information allein nicht unbedingt für eine Veränderung politischen Willens ausreicht. Jedoch sei Transparenz in Politik und Verwaltung ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. “Data is the new bacon” - lautete ein Schriftzug auf dem T-Shirt eines Teilnehmers. Auch wenn etwas utopisch, wäre es schön, wenn die CivicTech Community es schafft, Offene Daten statt einfach nur Daten, als das neue Bacon durchzusetzen.

P.S.: Einige weitere lesenswerte Zusammenfassungen zum Summit (auf Englisch) finden sich inzwischen im Netz: