Es gibt viele gute Argumente für digitale Werkzeuge, denn sie helfen uns, zahlreiche Bereiche unseres Lebens und unserer öffentlichen Verwaltung einfacher oder effektiver zu gestalten. In der Civic-Tech-Szene entwickeln wir jährlich viele Prototypen, die großes gesellschaftliches Potenzial entfalten können. Gleichzeitig können diese Tools aber auch ökologische Nachteile mit sich bringen, beispielsweise wenn sie viel Energie verbrauchen oder sie aus nicht recycelbaren und sog. kritischen Rohstoffen bestehen. Uns ist deshalb daran gelegen, den digitalen Wandel nachhaltig zu gestalten und das umfasst ökologische ebenso wie soziale Nachhaltigkeit.
Einerseits bringt der digitale Wandel zwar durchaus viele Möglichkeiten z. B. ressourcensparender Steuerungen mit sich. Zugleich belasten die für Technologien nötigen Ressourcen unser Ökosystem. Materialaufwand, Reparierbarkeit und Energiebilanz etwa müssen bereits im Entwicklungsstadium von Anwendungen zentral sein. Während dies den großen Software-Unternehmen oftmals schwer zu fallen scheint, kann die dezentral aufgestellte Civic-Tech-Szene Ideen zur nachhaltigen Digitalisierung vergleichsweise leichter und agil umsetzen.
Digitale Anwendungen benötigen während ihrer Nutzung Energie auf dem eigenen Endgerät, sie werden heute aber auch oft irgendwo auf der Welt lokal auf Servern gespeichert, die zudem gekühlt und gewartet werden müssen. Hinzu kommt die Energie, die für permanente Datenübertragung nötig ist. Clouds und Streaming sollten also nicht immer die erste und einzige Option sein. Nicht jede Software verbraucht zudem gleich viel Energie, hier muss bei der Entwicklung wieder stärker ein Augenmerk auf sparsame Anwendungen gesetzt werden, auch wenn unserer Geräte selbst immer leistungsfähiger werden.
Insbesondere Bilder und Videos sind außerdem energiehungrig – sie nur an der ein oder anderen Stelle bewusst einzusetzen wäre also bereits ein großer Beitrag. Wer in der Gestaltung von Content arbeitet, hat damit besonders viel Spielraum für Schritte zur Nachhaltigkeit– sogar, wenn sie oder er nicht so technikaffin ist. Civic-Tech-Anwendungen, die mit diesem Wissen im Hinterkopf gestaltet wurden, sehen deswegen oft schlichter oder reduzierter aus als ihre proprietären Pendants. Hier liegt eine Chance, dass wir durch entsprechende Hinweise in den Anwendungen Menschen für dieses Thema sensibilisieren können und unsere Standpunkte klar kommunizieren: Funktionalität gibt es auch ohne viele Bilder und Videos.
Einen enormen Anteil an dem Ressourcenverbrauch unserer Gesellschaft hat auch die Hardware, die wir täglich nutzen. Die benötigten Rohstoffe werden häufig unter umweltschädlichen, aber auch unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut – zudem oft in Krisengebieten, sodass sie Kriege und Bürgerkrieg nähren. Es gibt keine ausreichenden Arbeitsschutzmaßnahmen, Menschen sind bei Unfällen, Krankheit, Schwangerschaft und im Alter nicht abgesichert und oft steckt ein wesentlicher Anteil an Kinderarbeit in unserer Elektronik. Umweltvorgaben zum Abbau und der Abbaumenge gibt es nicht oder sie werden nicht eingehalten und überprüft, gleiches gilt für die Entsorgung der zum Teil giftigen oder nur nicht recycelten Bestandteile. In der Folge werden Lebensräume oft so beeinträchtigt, dass sie keine gesunde Grundlage für Mensch oder Tier mehr sind: Gewässer und Böden sind vergiftet und/oder ausgelaugt.
Deshalb spielt die Nutzungsdauer von Geräten eine bedeutende Rolle. Die Gleichung ist einfach: Je länger Hardware im Einsatz ist, desto weniger Ressourcen sind nötig. Für die Nutzungsdauer sind Reparierbarkeit, die Produktion von Ersatzteilen und wiederum Software zentral: Software, die lange betreut wird, für die es (Sicherheits-)Updates gibt, kann auch auf alten Geräten genutzt werden und, trägt so dazu bei, Rechner oder Telefon länger im Einsatz zu halten. Das trifft häufig auf Freie und Offene Software zu. Durch ihre Nutzung machen wir uns unabhängig von einzelnen Unternehmen, die bestimmen wollen, wann wir neue Geräte kaufen müssen. Unnötiger Ressourcenabbau, Müll und Menschenrechtsverletzungen werden dadurch verringert.
Digitale Werkzeuge können eine nachhaltige Lebensweise aber auch begünstigen. Sharing-Systeme für Fahrzeuge, Lebensmittel oder Kleidung sorgen dafür, dass weniger Menschen neue Dinge kaufen, vor allem, wenn sie diese sowieso nur selten nutzen – zumindest solange dieses praktische Miteinander-Teilen nicht am Ende doch zu mehr Konsum motiviert oder das (geteilte) Auto die Öffis aussticht (Rebound-Effekt). Abfall entsteht natürlich trotzdem, aber mit technologischer Unterstützung können wir besser dafür Sorge tragen, die Müllentsorgung zu optimieren, z. B. indem Wertstoffe effizienter geborgen und wiedergenutzt werden. Außerdem gilt natürlich: Trenne nicht nur deinen Müll, sondern entsorge auch deinen Elektroschrott so, dass er recycelt werden kann. Das alles ist natürlich nicht spezifisch für die Civic-Tech-Community. Wir sind aber in einer guten Position, uns das entsprechende Wissen anzueignen und praktische, dezentrale Lösungen vorzuschlagen, die lokale Sharing-Gemeinschaften und eine nachhaltige Abfallentsorgung begünstigen.
Zahlreiche Beispiele zeigen, wie uns datengestützte und digitale Werkzeuge helfen, die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen: Mit Sensoren sammeln wir Umweltdaten und können mit der passenden Software auch große Mengen an Daten auswerten, die Aufschluss über Gefahren und neue Möglichkeiten geben. Es lassen sich Computermodelle erstellen, die Szenarien zu den Folgen des Klimawandels darstellen, Erkenntnisse für politische Entscheidungen liefern oder die nötigen Fakten, um für politische Veränderungen argumentieren zu können.
Visualisierungen oder einfache Apps wiederum zeigen Menschen im Alltag ihr Umweltverhalten auf. Ein bekanntes Beispiel dafür ist z. B. der ökologische Fußabdruck, der uns unseren CO2-Verbrauch errechnet und ihn ins Verhältnis setzt. Visualisierungen helfen, das eigene umweltschädliche Handeln zu verstehen und schaffen dadurch Bewusstsein und den Willen zu Veränderung. Viele Civic-Tech-Projekte setzen an diesen Punkten an. Da sie auf Offenen Daten und Freier und Offener Software beruhen, können wir überprüfen, ob wir den dargestellten Überlegungen bzw. Ergebnissen vertrauen können. Civic Tech ist damit auch ein wichtiges Tool im Einsatz gegen Fake News zur Klimakrise.
Nachhaltigkeit und Digitalisierung schließen sich also nicht gegenseitig aus. Mit den passenden Tools und einem Bewusstsein für die gegenwärtigen Schwachstellen von Soft- und Hardware können wir den digitalen Wandel nachhaltig gestalten. Gerade die Civic-Tech-Szene kann zum Beispiel mit ihrer Fokussierung auf Freie und Offene Software und minimalistisch gestalteten Anwendungen für ökologische Nachhaltigkeit eintreten.
Weitere Infos in der Publikation “Was Bits und Bäume verbindet”